Es war ein schönes Fest - Danke allen, die sich an den Planungen und der Durchführung so tatkräftig beteiligt haben! Statt langer Beschreibungen folgen weiter unten Bilder und die Rede, die Dr. Zhivka Deleva, die Heimleiterin des Flüchtlingsheims in der Eschenallee hielt. Bei all dem, was wir in der Ulme35 und in allen Flüchtlingsunterkünften dieser Stadt tun - immer geht es um individuelle Menschen - Danke Zhivka, dass Du das so eindrücklich in Worte gefasst hast.
"Liebe Freunde der Esche, liebe Freunde der Ulme,
bevor wie zu diesem Sommerfest zusammenkommen, möchte ich ein paar Worte zu den Eindrücken der letzten zwei Jahre verlieren. Bitte haben Sie ein wenig Nachsicht – ich bin keine deutsche Muttersprachlerin – , denn es wird meine erste längere Rede vor größerem Publikum in dieser Form.
Vor zwei Jahren trafen wir uns das erste Mal. Du warst Skender und ich war Shefica. Gestern erzähltest du mir, dass du gehen wirst. Etwas zerbrach in mir als du diese Worte aussprachst. - Ein System, das ohne Fehler funktioniert, wurde bis zum heutigen Tage noch nicht erfunden.
Ich erinnere mich, als wäre es heute: Wir besuchten dich im Krankenhaus, direkt nachdem du einen Herzinfarkt hattest. Das stundenlange Warten in den kalten Wintertagen 2015 war zu viel für dich. Es war auch in diesen Tagen, als wir zusammen lachten und versuchten, stark zu bleiben und einfach nur die nächste Zeit zu überstehen. Aber heute hast du beantragt, dass du und deine liebevolle Familie Deutschland für immer freiwillig verlassen wollt. Deine Kinder sprechen Deutsch, sie gehen zur Schule - und zwar regelmäßiger als viele andere Schüler, die ich bisher kennenlernte. Denn einen Schulabschluss zu machen, ist unheimlich wichtig – das hast du ihnen immer wieder klargemacht. Du bist eine echte Vaterfigur. Es gibt eine Geschichte über den Skender, wie wir ihn kennen, die Amei gern erzählt. Sie geht ungefähr so:
In einer kalten Turnhalle saß eine Gruppe von Bosniern, Kosovaren, Serben und Albanern zusammen, und Amei erzählte ihnen, dass sie gemäß dem deutschen Asylgesetz nicht den Schutz finden werden, den sie hier suchen. Die Gruppe begriff, dass das keine leeren Worte waren - dementsprechend waren sie wütend und enttäuscht. Doch trotz der allgemeinen schlechten Stimmung sagten sie zu Amei: „Egal was uns passiert, bitte sorgt einfach dafür, dass Skender und seine Familie bleiben dürfen.“ – Ende Juli wird Skender das Land verlassen. Er hat eine lange Reise gehabt – in der Tat.
Vor zwei Jahren trafen wir uns das erste Mal. Du warst Mohamed und ich wurde Mudira. Deine Stimme klang so kräftig – und so ergreifend. Du warst ein Jugendlicher – aber mit einer Geschichte und einer Odyssee, die für zwei Leben reicht. Es war einfach, mit dir zu reden. Du sprachst Englisch, ich sprach Englisch. Heute sprichst du Deutsch, und deine Stimme hört sich dabei anders an als früher. Du kamst mit deinem Bruder, hast mit ihm all die Grenzen überquert, die zwischen Syrien und Deutschland liegen. Ihr machtet dieselben Erfahrungen – von dem Moment an, als ihr aufbracht bis zum Asylentscheid, den dein Bruder bekam, du aber nicht. Denn vor über einem Jahr ging dein Pass verloren, irgendwo in der Provinz Süddeutschlands. Dein Bruder und du musstet dort zur Registrierung eure Pässe abgeben. Der Pass von deinem Bruder ging aber nicht verloren, deswegen ist er heute ein anerkannter Flüchtling – und du warst bis vor Kurzem nur geduldet. Ein System, das ohne Fehler funktioniert, wurde bis zum heutigen Tage noch nicht erfunden.
Es gab viele wie Euch, die wir kennenlernen durften. Meine Kollegen teilweise mehr, als ich es durfte. Beispielsweise Rasha: eine starke Frau, so stark wie man als Mutter nur sein kann. Oder Samar – deine beiden Babys werden Babys unseres Heims sein. Brunilda, eine unendliche Geschichte über eine Frau und ihre Kinder, Zoran, der größte Darsteller aller Zeiten – du stahlst uns unsere Herzen, nur um sie zu brechen. Und Antigona und die love story. Und Said Aldin. Und Rebwar. Und Asma, Und Yasmin. Und Rashid. Und Abdullah. So viele von Euch und alle anderen, die ich hier nicht aufzählen kann. Viele von euch kamen und blieben. Viele sind noch dabei, ihren Weg zu finden. Eines Tages werden wir alle diesen Ort verlassen und werden uns, hoffentlich, trotz all der bitteren Erfahrungen, die wir gemeinsam machen mussten, uns an die vielen guten Dinge erinnern
Die Esche steht nie still, sie ist eine Durchgangsstation für alle, die hier wohnen oder hier zu tun hatten oder noch haben. Unser Team hat viele kommen und gehen sehen. Was ich allen, die die Esche verlassen haben, einfach einmal sagen wollte: Ihr bleibt mit uns verbunden.
Amei, Irene, Mirjam, Franziska, Katrin, Kristin, Frank, Caroline, Hardy, Dorothea, Dassana, Yvonne, Leon, Alex und noch mehr als über einhundert andere Menschen, die ihre Freizeit zur Verfügung stellen, geben der Menschlichkeit ein Gesicht, und das in Zeiten, in denen eigentlich gilt: No Time for Nothing (oder: Time is Money).
Westend – Ich kannte diesen Ort in Berlin nicht, bevor ich hier anfing zu arbeiten. Mittlerweile habe ich aber so viel über diese kleine Insel in der Großstadt und ihre Menschen gelernt. Mir wurde klar: Hier gibt es tatsächlich einen Gemeinschaftssinn. Hier wird einem der Dialog angeboten, um gemeinsam das Beste aus den Chancen zu machen, die sich bieten. Das machte mich, und uns alle hier, ein Stück besser, die wir durch den Alltag nicht gerade mit Menschlichkeit verwöhnt werden. So hatten wir zusammen so etwas wie einen Stammtisch in einer alten Charlottenburg-Westend-Kneipe.
Wir alle sind hier versammelt, um das Ende des Ramadans zu feiern. Natürlich ein wenig verspätet, aber Sie/ihr alle habt gesehen, was für ein Wetter das vor einer Woche war. Heute, bei diesem eher herbstlich oder besser frühlingshaften Wetter, möchte ich Sie/Euch nun einladen jetzt das Sommerfest zu genießen und Sie/Euch daran erinnern, was wir haben, wer wir sind, wo wir herkommen und darüber nachzudenken, wo unser Weg von hier aus hinführen wird.
Zum Schluss möchte ich kurz einen Teil einer meiner liebsten Reden zitieren, welche mich immer an zu Hause denken lässt, an die Vergangenheit und an die Zukunft:
Jeder Teil dieses Landes ist meinem Volke heilig. Jeder Hang, jedes Tal, jede Ebene und jedes Gehölz ist geheiligt durch eine zärtliche Erinnerung oder eine traurige Erfahrung meines Stammes. Sogar die scheinbar stumm in der Sonne brütenden Felsen der Küste in ihrer feierlichen Größe sind getränkt von Erinnerungen an vergangene Ereignisse, die mit dem Schicksal meines Volkes verbunden waren. Und selbst der Staub unter unseren Füßen antwortet liebevoller auf unsere Schritte als auf eure; denn er ist die Asche unserer Vorfahren, und unsere nackten Füße sind sich der wohlwollenden Berührung bewußt, da der Boden reich ist durch das Leben unserer Familien.
Die grimmigen Krieger und die liebevollen Mütter, die frohgemuten Mädchen und die kleinen Kinder, die hier lebten und sich freuten, und von denen man jetzt nicht einmal mehr den Namen kennt, lieben immer noch diese Einöde, und ihre dunklen Winkel werden zur Abendzeit schattig durch die Anwesenheit der Geister der Dämmerung.
Auf der ganzen Erde gibt es keinen Ort, der der Einsamkeit geweiht ist. In der Nacht, wenn die Straßen eurer Städte und Dörfer still geworden sind und ihr sie verlassen wähnt, werden sie voll sein von den zurückkehrenden Scharen, die einst dieses wundervolle Land bevölkerten und es jetzt noch lieben.
Rede des 1866 verstorbenen Häuptlings der Suquamish und Duwamish-Indianer Seattle von 1854
Vielen Dank für Ihre/Eure Aufmerksamkeit und lasst uns – bei hoffentlich trockenem Wetter – einen schönen Nachmittag zusammen verbringen!"
Zhivka Deleva
Und nun die Bilder, alle © Mohsen Hassani (vielen Dank!)